Fiebrig zitterte der alte Mann mit den Augenlidern, leckte sich flatternd über die schmalen, ausgetrockneten Lippen und ein Stöhnen drang aus seiner Kehle. Seine glasigen Augen bewegten sich hektisch von links nach rechts, sein sterbender Verstand versuchte die Bilder zu ordnen, die wie im Zeitraffer vor ihm herumtanzten.
Krachend flogen die Fenster auf. Der kalte Wind stob durch die kleine Stube, drehte sich in jeder Ecke, ließ das prasselnde Feuer im Kamin einige Sekunden lang unter seiner Gewalt flackern, während ein dunkle, drohende Gestalt über den Sims in das Zimmer eindrang.
Der Alte riss starr vor Angst seine Augen auf. Von dem Fieber, von seinem Sterben, war nichts mehr übrig geblieben. Wie von einer unsichtbaren Batterie aufgeladen, flammte seine Aura mit enormer Energie wieder auf.
>Es ist soweit<, murmelte die weiche, sanfte Stimme hinter dem Dunkel der riesigen Kapuze des tiefschwarzen Umhangs.
Etwas irritierte den Greis.
In den letzten Jahren seines Lebens war der Tod ein ständiger Begleiter gewesen. Viele prophezeiten ihm ein baldiges Ende, doch er hatte durchgehalten, solange es ging.
Während dieser Jahre stellte er sich den letzten Moment, wenn der Schnitter ihn holen würde, immer wieder vor. Malte sich seine letzte Reise aus; wie es wohl sein würde, wohin es wohl gehen könnte.
Sicher, er hatte ein ehrbares Leben geführt und niemandem einen Grund gegeben, warum er die Hölle verdiente, doch oft kam es ja anders, als man dachte. Trotzdem wollte er seinen Platz im Himmel, von dem er meinte, dass er ihm zustünde.
>Es ist soweit<, wurde die Todesformel eindringlicher wiederholt.
Müsste der Tod nicht anders klingen, dachte der Alte. Nicht so weich, so sanft, so…
– weiblich! –
Gerade in dem Moment, als der Sterbende einen tiefen Zug aus der Schöpfkelle der Erkenntnis nahm, wurde die bedrohlich aufgestellte, rabenschwarze Kapuze zurückgeschlagen.
Eine Frau von vielleicht zwanzig Jahren blickte den Alten aus freundlichen Augen an. Ein gewinnendes Lächeln umfloss ihren zarten, blassroten Mund.
>Was?<, herrschte sie mit ihrer glockenklaren Stimme.
>Hast du noch nie eine Frau gesehen?<, wollte der Tod…, äh, äh…die Töd-in, wissen.
>Und bevor du fragst, es heißt Gevatterin Tod!<
Der Greis brachte kein Wort heraus. Er stammelte einige Male ein „Äh“, mehr fiel ihm zu seinem willkommenen Gast nicht ein.
Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, kam die Gevatterin an das Bett heran, hinauf zu seinem Kopf, beugte sich zu ihm herab und wiederholte eindringlich, >Es ist soweit!<
Der alte Mann blickte ängstlich in der Gevatterin Gesicht.
Einige Sekunden herrschte Stillstand, ganz so als würde die Kälte die Zeit gefrieren.
Der weibliche Tod versuchte zu ergründen, welche Fragen ihrem Passagier so im Kopf herumspukten, als sie Trotz in den klaren blauen Augen entdeckte. Ehe sie ihren Mund öffnete, offenbarte ihr der Greis, >Ich werde nicht mit dir mitkommen!<
Irritiert zuckte die Gevatterin in die Senkrechte, brüllte ungehalten, >Bitte! Was soll das bedeuten, du wirst nicht mitkommen? Du musst mitkommen – ich bin der Tod. Jeder kommt mit. Du hast keine andere Wahl!<
Der Alte grinste.
>Von wem bekommst du deine Aufträge?<
Der Sensenmann…; Entschuldigung … die Sensenfrau rang um ihre Beherrschung. Wie ein Fisch im staubtrockenen Aquarium schnappte sie nach Luft.
>Von wem ich… was …bekomme?<
>Deinen Auftrag mich zu holen! Von wem hast du den bekommen. Welchen Teil meiner Frage hast du nicht verstanden?<
Jetzt langsam, fast in Zeitlupe, fragte der Mann wieder, >V-o-n w-e-m h-a-s-t d-u d-e-i-n-e-n A-u-f-t-r-a-g b-e-k-o-m-m-e-n-?<
Das junge Ding erlitt einen Hustenanfall. Die scharfe Sensenklinge am Ende des nachtschwarzen Holzstiels schwang dabei gefährlich von einer Seite, immer scharf am Gesicht des Greises vorbei, zur anderen.
Mühsam erlange sie ihre Fassung zurück, hustete noch ein paarmal und funkelte ihr Opfer an.
>Hör mal, alter Mann. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, denn ich bin der Tod. Ich…<
Das Grinsen des Alten reichte von einem Ohr zum anderen.
>Ich bezweifle, dass du der Tod bist. Deshalb weigere ich mich, mit dir mitzukommen!<
Gevatterin Tod rutschte die Kinnlade auf die Brust. Sie klammerte sich fest an den Griff ihrer Sense. Ganz weiß schimmerten ihre Fingerknöchel im rot des Flammenlichts aus dem Kamin.
>Ich sage es jetzt zum letzten Mal, alter Mann. Es ist so weit. Du kommst jetzt mit!<
Der Alte kreuzte die Arme über seiner Brust, setzte eine beleidigte Miene auf und blickte stur geradeaus auf das Fenster.
Wieder schien die Zeit zu stoppen.
>Was ist jetzt?<
>Erst wenn du mir sagst, in wessen Auftrag du handelst und wer du wirklich bist. Erst dann komme ich mit; Punkt!
>Okay, okay<, antwortete die Sensenfrau, lehnte ihr Schnittwerkzeug an die Wand, bedeute dem Alten ein wenig zu rutschen und setzte sich auf die Bettkante.
>Gut, wenn es sein muss. Aber dann kommst du mit. Ich habe einen engen Zeitplan. Du bist nicht der Einzige, der heute Nacht stirbt, da warten noch andere und ich hänge jetzt schon dem Plan hinterher.<
Der Greis blickte wieder stur zum Fenster.
>Ja,ja, schon gut<, beschwichtigte die Sensenfrau.
>Also, ich bekomme meine Aufträge von oben; also von ganzen oben,< dabei zeigte sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger an die Decke.
>Von Gisela<, fragte der zum Sterben Verurteilte.
Gevatterin Tod blickte verwirrt, und bevor sie nachhaken konnte, sagte der alte Mann, >Na, Gisela, die Pflegerin. Sie hat ihr Zimmer hier über mir<, dabei zeigte jetzt er mit erhobenem Finger an die Decke.
>Willst du mich verarschen?< Die Gevatterin verlor allmählich die Geduld. >Von ganz oben, noch höher als Gisela<, schrie sie fast.
>Schon gut, schon gut<, wiegelte der Alte ab, >nur ein kleiner Scherz am Rande.< Dabei rollten ihm feine Lachtränen über die faltigen Wangen und das amüsierte Glitzern in seinen Augen erinnerte an seine Jugend die schon so lange zurücklag.
>Haben wir es dann? Okay, gut – ja! Und zu deiner zweiten Frage, ich bin der Tod.<
Der Alte winkte ab.
>Der Tod ist ein Mann!<
>Was?<
>Ja sicher. Schon von klein auf, bin ich mit meinen Eltern jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Schon damals wurde mir erklärt, der Tod ist ein Mann! Verstehst du? Der Tod, eindeutig maskulin!<
>Ach so, dass!<, bemerkte der weibliche Tod, >Das ist überholt. Im Rahmen des Gendermainstream hat man ganz oben beschlossen, es muss im Rahmen der Gleichbehandlung und der Emanzipation auch ein weiblicher Tod im Dienst der Allgemeinheit stehen. Bist du jetzt zufrieden und kommst mit mir mit?<
>Nicht so schnell<, widersprach der Greis, >Wo ist der richtige Tod?<
Jetzt bekam die Gevatterin Schnappatmung. Ihr sowieso schon helles Gesicht legte noch eine Spur tödlicheres Weiß auf.
>Der, der, der….richtige Tod!<, stammelte sie.
>Ja, der der das schon immer machte. Noch vor der Emanzipation und dem ganzen Gerindermeinstriemblödsinn. Der Tod, auf den ich ein Anrecht habe. So wie es mir die Kirche versprochen hat. Ein Sensenmann. Wie auf den Bildern; aus Knochen und mit glühenden Augen. Stattdessen hockst du hier an meinem Bett und feilst dir die Fingernägel. Soll ich nach Gisela rufen, dann könnt ihr Schminktipps austauschen.<
Gevatterin Tod sprang ruckartig von der Bettkante auf. Falls sie einen Blutdruck hatte, musste der jenseits der eintausend zu zweitausend liegen. Das ansonsten blasse Gesicht bebte in Zornesröte, die Sense flog von einer Hand zur anderen, gerade wie bei einer Messerstecherei.
>Da brauchst du gar nicht so zu gucken. Beschwer dich bei der Kirche. Ich will einen männlichen Tod, und zwar einen schönen. So wie auf den Bildern in der Kirche!<
Die Sensenfrau zitterte am ganzen Leib.
>Willst du jetzt heulen?<, fragte der Alte provozierend.
>Weißt du was, du alter Zausel. Ich werde dich an deinem langen Bart hier heraus schleifen, und wenn es das Letzte ist, was ich mache. Du wirst….
Erneut flogen krachend die Fensterläden auf. Der bitterkalte Wind drückte sich wiederholt in alle Ecken. Vor Beider Augen wirbelte Schwärze durcheinander, drehte sich im Kreis und eine Gestalt manifestierte sich.
>Hier steckst du also!< donnerte eine Grabesstimme durch die kleine Stube.
Der Alte zuckte unter den Worten zusammen.
>Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst das lassen. Sie werden nur nervös und erfüllen ihre Aufgabe nicht!<
>Aber es macht unheimlich viel Spaß, sie aus der Fassung zu bringen. Schau sie dir nur an. Sie wäre fast geplatzt vor Zorn<, erwiderte der Alte, stieg aus dem Bett und löste sich in Luft auf.
©Jonas Erler